Manche Hirnforscher gehen heute davon aus, dass der Mensch über eine Art „Kapiertrieb“
verfügt. Das würde bedeuten: Außer den angeborenen Trieben wie Essen oder Fortpflanzung
hat die Natur den Menschen noch mit dem Lerntrieb ausgestattet. Demnach wäre der Mensch
von Geburt an bestrebt, Einzelheiten zu einem Ganzen zu fügen und neue Verknüpfungen zu
erkennen- also zu lernen. Beim lernen werden im Gehirn sogenannte Botenstoffe
ausgeschüttet, die einen chemischen Ablauf auslösen, an dessen Ende im Körper ein
Glücksgefühl entsteht. Lernen kann demnach Vergnügen bereiten. Die Lern-und
Gehirnforschung hat herausgefunden, dass ein wichtiger Aspekt beim Lernen eben dieses
Glückgefühl ist, das sich automatisch bei Lernerfolgen einstellt. Die Forschung konzentriert
sich heute auf den Vorgang des Lernens und auf den Antrieb, der zu Lernerfolgen führt. Viele
Wissenschaftler vertreten inzwischen provokativ die These, dass jemand, der von der
Arbeitsweise des Gehirns nichts versteht, auch keine Ahnung davon haben kann, wie Kinder
am besten lernen. Sie fordern deshalb eine stärkere Berücksichtigung der wissenschaftlichen
Erkenntnisse aus der Hirnforschung bei den Lernprozessen und im Lernalltag an den Schulen.
Allerdings liefert die moderne Gehirn-und Lernforschung in vielen Fällen oft nicht mehr als
eine Bestätigung längst bekannter pädagogischer Weisheiten. Das Ergebnis der
Wissenschaftler, dass Lernen mit Lust verknüpft sein kann und angenehme Erlebnisse besser
als unangenehme erinnert werden, erkannten Pädagogen schon vor über dreihundert Jahren.
Eine weitere Erkenntnis der Forscher ist, dass in den ersten Lebensjahren die Grundlagen für
spätere Lernerfolge gelegt werden. Diese Weisheit findet sich zum Beispiel in dem
altbekannten Spruch:“ was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Auch eine andere
wichtige Botschaft aus der Lernforschung ist alt: Informationen werden dann am effektivsten
verarbeitet, wenn sie auf möglichst vielfältige Weise- z. B. gesungen, gereimt, gemalt- alle
Sinne anregen. Diese Einsicht entspricht genau dem, was Lehrer bereits vor über zweihundert
Jahren forderten, dass nämlich Lernen mit Kopf, Herz und Hand erfolgen müsse. Die
modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf das lernen sind also nicht so neu, wie
sie vielleicht auf den ersten Blick erscheinen. Und sie entsprechen im Wesentlichen den
Vorschlägen, die Pädagogen seit Jahrzehnten machen. Die geforderten Reformen an der
Schule sollten folgende Aspekte betreffen: Anstatt den Schülern möglichst viel Lernstoff
einzutrichtern, sollten sie zu eigenen Problemlösen angeregt werden.
Ferner sollten Schüler im Selbstversuch die Grenzen von Erfolg und Misserfolg ausprobieren
können.
Daneben sollte ganz besonderes Gewicht auf die Entwicklung von Lernstrategien gelegt
werden. Denn bereits in einer frühen Phase, das heißt im Vor-und Grundschulalter, können
Kinder lernen zu lernen.
Eine weitere Forderung ist, dass bereits in der Grundschule klare Leistungsstandards und
Grenzen gesetzt werden.
Außerdem sollte bei der Vermittlung des Lernstoffes unbedingt darauf geachtet werden, dass
die Gehirne der Schüler zwar angeregt, jedoch nicht mit zu vielen Reizen überlastet werden.
Auch wenn die Kinder aus ihrem Alltag genau an diese Reizflut durch Video, Fernsehen oder
Computer gewöhnt sind, kann sich ein Zuviel an Eindrücken negativ auf das Lernen
auswirken.
Ganz besonders wichtig ist, dass Schüler individuell gefördert werden sollten, da das Lernen
von vielen Faktoren-kultureller und sozialer Kontext, Motivation, persönlicher Lernstil,
Erfahrungen, Vorkenntnisse usw.-abhängt. Nur wer sich verstanden und betreut fühlt, arbeitet
gerne mit.
Wenn all diese Forderungen in der Schulrealität erfolgreich umgesetzt werden, dann kann sich
auch die Erkenntnis der Gehirn-und Lernforscher bestätigen, nämlich dass lernen mit einem
Glücksgefühl verbunden ist- und sogar in der Schule. Das wäre für alle Beteiligten, aber doch
vor allem für Kinder, ein großer Erfolg.